„Brauchen wir wirklich eine neue Webseite?“

Webdesigner, die für Agenturen oder als Freelancer arbeiten, berichten uns immer wieder von ihren Kundenerfahrungen. Häufig steht die Agentur vor der Aufgabe, dem Kunden zu erklären, warum er doch einmal seine Website modernisieren sollte. Oft bleiben diese Ratschläge ohne Wirkung.
Natürlich bedeutet, das Neuaufsetzen oder die Weiterentwicklung der Website eine neue Investition. Je nach Aufwand werden ja doch einige Tausend Euro fällig. Doch geht es ohne dieses neue Investment?

„Was bringt mir das denn?“ fragen viele Kleinstunternehmenslenker und Mittelständler. Und: „Es geht doch jetzt auch. Wenn einer meinen Firmennamen eingibt, findet er mich über die Suchmaschine.“
In der Tat: Viele Webseiten sind inzwischen an die zehn Jahre alt. Viele davon wurden erstellt, als ausgereifte und funktionale Open Source Content Management Systeme wie Joomla! populär geworden sind.
Viele erinnern sich auch noch an Vorläufer wie PHPNuke, mit dem man großen Nutzen aus der PHP- und MySQL-Unterstützung des Webhosting-Pakets ziehen konnte. Leider wurde PHPNuke oft gehackt. Joomla!, das aus Mambo hervorging, bot bald viel bessere Stabilität und war schnell bei Webdesignern, die im Kundenauftrag möglichst ökonomisch und schnell Ergebnisse produzieren sollten, erste Wahl. Besonders in Deutschland hat sich auch Typo3 als solide Lösung durchgesetzt, das von größeren Agenturen, die mit mehr Budget arbeiten konnten, quasi Standard wurde.
Content Management Systeme bestachen dadurch, dass Inhalt und Design voneinander getrennt werden konnte. So brauchte man kein Webmaster-Wissen mehr, um inhaltliche Änderungen vorzunehmen. Der Webdesigner konnte oft auch auf ein fertiges Template zurückgreifen und musste nicht bei Null beginnen, um einen Auftritt zu erstellen. Das war die Zeit, die man heute vielleicht als Web 1.0 bezeichnen würde.
Dann kam das „Mitmach-Web“, Web 2.0. An vielen Unternehmenswebseiten ist dieser Trend einfach vorbei gegangen. Seiten, die um 2010 entstanden sind, haben vielleicht schon einen Facebook-Like-Button oder die Twitter-Timeline integriert bekommen. Viele Webseitenbetreiber sahen jedoch nicht die Notwendigkeit, hier mitzugehen. Was sollte das Unternehmen auch im Web-2.0.-Sinne von Usern beitragen? User-generierter Inhalt war eher das Thema neuer Web-Angebote wie von Frage-Antwort- oder Quiz-Portalen.
Doch auch, was die Designmöglichkeiten angeht hat sich einiges weiterentwickelt. Die neuen Designtrends müssen dem Umstand Rechnung tragen, dass mobile Geräte, Smartphone und Tablets immer wichtiger werden und das Zielpublikum einfach erwartet, dass die gesuchte Seite ordentlich, lesbar und angenehm dargestellt wird.
Wenn man recherchiert, was als Designtrends 2014 auf einschlägigen Websites von Designern oder Agenturen benannt wird, trifft man auf folgende Themen:

  • Fullscreen Background-Bilder, während man sich früher auf die zentrale Spalte konzentrieren musste
  • Bewegtbild (Video) im Hintergrund
  • Flat Design, das mit IOS 7 populär wurde
  • Das Metrodesign, das sich an Microsoft Windows 8 orientiert
  • Unendliches Scolling und Parallax-Scrolling als Art und Weise, den User Inhalte auf der Seite zu präsentieren
  • Minimalistisches Design mit viel weißem Platz (Whitespace)
  • Responsives Design, das je nach Endgerät eine andere Bildschirmaufteilung vorsieht, gegebenenfalls ergänzt mit Off Canvas – Technologie, um auch links und rechts Inhalte zu bieten, die aber nur stark verkürzt sichtbar werden. Beispiele dafür sind eingeklappte Navigationsmenüs, die erst bei Bedarf, also Klick, ausgefahren werden

Klar, dass solche Trends und Möglichkeiten bei der Template-Entwicklung 2008 oder 2009 dies noch nicht berücksichtigt werden konnten. Es gab sie einfach nicht. Doch heute erwarten Websitebesucher solche Raffinessen. Dennoch sind diese Umsetzungen der neuen Möglichkeiten kein Selbstzweck.
Natürlich kann man – technisch gesehen – auch mit einer Website von 2006 oder 2007 versuchen, neue Kunden zu finden. Die Frage ist, welchen Erfolg man erwartet.
Sicher wird auch die Website mit dem veralteten Design nach einer Suchanfrage – sofern inhaltlich noch relevant – mit erscheinen. Aber wenn eine alte Seite gegen eine neue kämpfen muss, muss es für die Relevanzalgorithmen der Suchmaschinen schon sehr stichhaltige Gründe geben, um die alte Seite vor der neuen zu zeigen.
Nicht umsonst wurden viele Usabilityexperimente durchgeführt deren Ergebnisse sich in zeitgemäßen Designs und Templates manifestiert haben. Designtrends entstehen nicht aus dem luftleeren Raum. Sie werden angestoßen von neuen technischen Möglichkeiten durch die Weiterentwicklung der Basistechnologie, durch neue Erkenntnisse und Usability- und User Experience Testings.
Viele Webseitenbesitzer nutzen als ihre Beurteilungsggrundlage einer Webseite ihr persönliches ästhetisches Empfinden. Das ist sicher nicht falsch: Auch das eigene ästhetische Empfinden mit einer Bewertung als Ergebnis kommt ja irgendwie zustande. Und in dieser affektiven Bewertung stecken implizit die Faktoren, die analytisch als Usability, easy of use, joy of use und dergleichen benannt sind.
Leider funktioniert die wohl aber nur im Erstkontakt mit einer neuen Webseite gut. Je besser man die Webseite kennt, je vertrauter sie ist, desto weniger eignet sich das ästhetische Empfinden, denn man hat diese Webseite schon „durchschaut“ und die Orientierung fällt nach dem zweiten oder dritten Blick leichter. Was man kennt, was man gewohnt ist, gefällt einem besser.
Der Hintergrund dürfte sein, dass je einfacher eine Site zu bedienen ist, je durchschaubarer und zielführender die Informationsarchitektur ist, desto angenehmer empfindet man die Site, da nicht so viel Anstrengung notwendig ist und man durch die Aufmachung entlastet wird. Dieses Empfinden prägt dann auch die Beurteilung nach Maßstäben wie schön versus unschön.
Daher sollte man wirklich versuchen, die Userbrille aufzusetzen, was sich in der Praxis als verdammt schwer erweist. Nur schwer kann man sich gedanklich von seinen Vorerfahrungen und Gewohnheiten lösen. Und meist ist das eigene Empfinden nicht oder nicht mehr deckungsgleich mit dem Durchschnittsempfinden der anvisierten Zielgruppe.
Auch sehr große Webangebote durchlaufen einen Designprozess, der UX- und Usability Testing als Bestandteile hat. Dies ist notwendig, damit das Ergebnis überzeugt und Nutzer findet. Von diesen aufwändigen Prozessen bekommt die Öffentlichkeit meistens nichts mit, so dass es scheint als wäre einfach eine designerische Herangehensweise mehr oder weniger beliebig nach dem Gutdünken oder Geschmack des Chefdesigners umgesetzt worden. Und damit wäre dann eine Variante genutzt, die dann stilbildend wirkt. Dem ist aber in der Regel nicht so.
Also: Webseitendesign entwickelt sich weiter, nicht zum Selbstzweck, sondern auch weil sich das Userverhalten und die Erwartung der User über die Zeit ändert. Weiterentwicklungen in Technologien, egal ob HTML, CSS oder auch PHP bringen neue Möglichkeiten hervor.
Noch schneller hat sich die Hardware verändert? Wie oft haben wir in den letzten zehn Jahren das Mobiltelefon gewechselt, um beim Smartphone zu landen? Das erste iPhone hat Steve Jobs Anfang 2007 vorgestellt. Heute steht der Versionszeiger auf „6“. Seit dem jahrtausendwechsel gab es fünf komplett neue Versionen von Microsoft Windows (2000, XP, Vista, 7, 8 bzw. 8.1). Mit welcher Begründung also könnte man annehmen, dass die Anfang der Nuller-Jahre entworfene Website heute auch noch ihren Job machen kann?
 
 

Eine Antwort auf „„Brauchen wir wirklich eine neue Webseite?““

  1. Ich selbst bin seit 1999 von der Software-Entwicklung in das Web-Design „reingerutscht“. Derzeit kämpfe ich mit der Migration meiner JOOMLA-1.5-Kunden-Seiten und bemühe mich da, die Notwendigkeit klar zu machen. Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel über „Brauchen wir wirklich eine neue Web-Seite“ gelesen. Kompliment, das kann man nicht besser formulieren.
    Gruss Helmut Langguth, Edertal-Affoldern

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