Joomla im Wandel: Wie das 20 Jahre alte CMS für die Zukunft plant

Erinnere dich an das Jahr 2005. Die Digitalisierung nahm gerade richtig Fahrt auf, und inmitten dieses Aufbruchs wurde ein Content Management System geboren, das dir vielleicht noch heute gut bekannt ist: Joomla!. Eine stabile Größe im Open-Source-Universum, die jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, eine tiefgreifende strategische Neuausrichtung vornimmt.

Joomla steht am Scheideweg. Viele von uns, die das System vielleicht noch aus der frühen 3.x-Ära kennen, fragen sich: Wie kann eine 20 Jahre alte Plattform in einer Welt voller KI-Tools, Headless-Architekturen und „No-Code“-Anbieter relevant bleiben?

Die Antwort, die das Kernteam um Produktionsleiterin Sigrid Gramlinger gibt, ist radikal, mutig und vor allem: professionell. Es ist ein Plan, der nicht nur die Codebasis, sondern auch das Selbstverständnis von Joomla neu definiert. Hier ist ihr Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=wnw1mI6d2AE.


Abschied von der Vergangenheit: Stabilität ist das neue „Wow“

Wenn du Joomla von früher kennst, erinnerst du dich vielleicht an lange Wartezeiten zwischen großen Versionssprüngen, die Upgrades zu einem nervenaufreibenden Projekt machten. Das ist vorbei.

Das erste Fundament der neuen Strategie ist Planbarkeit. Joomla hat auf ein straffes, zeitbezogenes Release-Modell umgestellt: Alle zwei Jahre gibt es ein Major Release (z.B. 6.0, 7.0, 8.0), alle sechs Monate ein Minor Release und alle sechs Wochen ein Wartungs-Update. Diese strenge Taktung soll Verlässlichkeit für das gesamte Ökosystem schaffen. Du weißt jetzt genau, wann du mit neuen Funktionen rechnen kannst und wann du deine Projekte planen musst.

Tatsächlich definieren die Entwickler die „Wow-Faktoren“ neu: Sie liegen definierterweise nicht in glitzernden Gimmicks, sondern in einer stabilen Architektur, besserer Barrierefreiheit und vor allem in reibungslosen Migrationspfaden.

Hier findest du mehr zu, künftigen Joomla 8:
https://magazine.joomla.org/all-issues/june-2025/joomla-8-the-future-is-planned-now .

Hier ist die Roadmap von Joomla; Joomla 6 soll jetzt im Oktober kommen.
https://developer.joomla.org/roadmap.html


Die mutige Wende: Tschüss Hobbyisten, hallo Profis!

Der vielleicht bemerkenswerteste Schritt in Joomlas Zukunftsplan ist eine strategische Trennung: Du wendest dich bewusst von den Hobby-Nutzern („do-it-yourself“ users) ab.

Das soll keine böse Absicht sein, sondern ist vielleicht einer nüchterne Marktanalyse entsprungen. Diese Nutzergruppe wechselt ohnehin zu einfacheren „Website-Baukästen“ wie easyPage. Gleichzeitig verursachen sie hohe Support-Kosten und aktualisieren ihre Websites oft nicht, was dem Ruf des Systems schadet.

Joomla konzentriert sich stattdessen kompromisslos auf die professionellen Anwender:

  • Agenturen und Webentwickler: Die Multiplikatoren, die Hunderte von Websites betreuen.
  • Den öffentlichen Sektor und Non-Profits: Organisationen, die Open Source, Barrierefreiheit und Compliance nach europäischen Standards benötigen.
  • Enterprise-Kunden: Für Intranets und hochstrukturierte Content-Lösungen.

Du wirst in Zukunft sehen, wie Joomla explizit für komplexe, geschäftskritische Anwendungen entwickelt wird, bei denen Sicherheit und Stabilität mehr zählen als der einfachste Einstieg.

Das Risiko für die Entwickler-Community

Diese strategische Entscheidung birgt jedoch eine reale Gefahr für die Open-Source-Community und den Nachwuchs:

Traditionell finden viele Nutzer und spätere Entwickler über „Trial and Error“ den Einstieg in ein CMS. Das hat man doch bei WordPress gesehen. Man beginnt mit einem kleinen Hobby-Projekt, experimentiert, stößt an persönliche Grenzen und professionalisiert sich dann. Diese Gruppe von initialen „Hobbyisten“ ist oft der Pool, aus dem später die professionellen Anwender, die Unternehmen gründen oder in Agenturen eintreten, hervorgehen.

Wenn du diese Einstiegsgruppe nun strategisch ausschließt, entsteht ein Problem: Wer soll in Zukunft Leidenschaft und Wissen für Joomla in die Unternehmen tragen und das System dort empfehlen? Wo findet man Developer, die das System kennen (vermutlich kennen TYPO3 und Drupal diesen Effekt). Und wer soll die Reihen der ehrenamtlichen Entwickler, Tester und Dokumentierer auffüllen, deren Engagement für das Überleben von Joomla unerlässlich ist, wenn die Altvorderen offboarden?

Joomla muss diesen Spagat meistern: Wie kann man die professionelle Ausrichtung konsequent verfolgen und gleichzeitig die Community-Engagement-Tools und das Onboarding so attraktiv gestalten, dass der Nachwuchs auch ohne den „Hobby-Einstieg“ den Weg zum CMS findet.


Der Joomla 8 Sprint: KI, Compliance und globale Relevanz

Noch eine Frage muss erlaubt sein: Wie genau sieht die technologische Zukunft von Joomla aus? Die Roadmap, die im Rahmen des „Joomla 8 Sprints“ entwickelt wird, zeigt eine klare Ausrichtung auf die globalen Anforderungen der Creator Economy, insbesondere in Europa:

  1. Automatisierung für Sicherheit: Mit Joomla 6 wird die Option für automatische Core-Updates eingeführt. Das ist ein Game Changer. Es erlaubt dir, die kritischen Sicherheitslücken zu schließen, oft bevor Hacker automatisierte Skripte entwickelt haben – ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Cyberangriffe.
  2. Compliance Center: In Europa sind regulatorische Aspekte wie die DSGVO und der EU Cyber Resilience Act (CRA) von zentraler Bedeutung. Joomla reagiert darauf mit der Vision eines Compliance Centers. Dieses Dashboard soll dir eine zentrale Übersicht über den Status von Datenschutz, Barrierefreiheit und allgemeiner Website-Gesundheit bieten. Es soll Joomla als vertrauenswürdiges und rechtskonformes CMS positionieren.
  3. Die KI-Verbindung: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind KI-Tools unerlässlich. Du kannst dich auf die Integration von KI-Funktionen für Content-Erstellung, Übersetzung und Bildgenerierung freuen. Gleichzeitig werden bessere APIs entwickelt. Diese sind essenziell, um Joomla als Headless-System zu nutzen und es nahtlos mit E-Commerce-Plattformen oder Marketing-Tools zu verbinden – die Grundvoraussetzung, um in der globalen Creator Economy mitzuspielen.
  4. Generative Engine Optimization (GEO): Neben der klassischen SEO bereitet sich Joomla auf die Generative Engine Optimization vor. Das System soll sicherstellen, dass deine Inhalte auch in den KI-Suchergebnissen sichtbar sind – ein Weichensteller für die digitale Zukunft.

Joomla auf dem globalen Spielfeld: Video und Content Hub

Joomla ist von Grund auf international: Multilingualität gehört seit Langem zu seinen Kernstärken. Doch die globale Creator Economy – die in „jüngeren“ Märkten wie Indien und dem gesamten Asien-Pazifik-Raum (APAC) am schnellsten wächst – stellt neue Herausforderungen.

Während Europa den Fokus auf strukturierte Inhalte und Compliance legt, dominiert in APAC das Volumen und Video-getriebener Content, oft im Format „Content-to-Commerce“ oder Live-Shopping. Hier zählen Geschwindigkeit, Reichweite und die nahtlose Anbindung an soziale und Video-Plattformen.

Die aktuelle strategische Ausrichtung Joomlas auf Stabilität und europäische Regularien könnte das Risiko bergen, diesen riesigen, schnelllebigen Markt zu verpassen.

Sieht so aus als wären die geplanten technologischen Fortschritte wie das Performance Pack und die API-Erweiterung sind Joomlas einzige Chance, diesen Graben zu überbrücken: Nur wenn das System mühelos große Mediadateien (Videos) verarbeitet und die Inhalte schnell und flexibel über Headless-Funktionen an externe (Video-)Hubs verteilt, kann es sich als relevanter Content Hub in dieser jungen, dynamischen Wirtschaft etablieren. Es geht darum, nicht nur compliance-konforme Texte, sondern auch jugendgerechten, Video-first-Content zu managen.


Die Initiative: Sei Teil des Kerns

Joomla ist ein Freiwilligenprojekt, und sein größtes Kapital ist seine Community. Sigrid Gramlinger machte klar: Wenn die ehrenamtlichen Helfer – die Core-Community – schwinden, stirbt das System. Die Stärkung dieser Helfer, der Extension-Entwickler und der Anwender ist die wahre Initiative, mit der Joomla relevant bleiben will.

Das Joomla-Team hat dich eingeladen: Wenn du Ideen für die Zukunft hast, beteilige dich am Joomla 8 Sprint. Reiche deine Ideen ein und bringe dich ein:

Joomla hat sich neu erfunden. Es ist nicht mehr das „einfache“ CMS von früher, sondern ein professionelles Werkzeug, das sich auf dem Weltmarkt behaupten will. Jetzt liegt es an uns, diese strategische Wende zu unterstützen und zu nutzen. Die Zukunft von Joomla ist anspruchsvoll, aber dank der engagierten Community ist sie vor allem eines: gesichert.

2 Antworten auf „Joomla im Wandel: Wie das 20 Jahre alte CMS für die Zukunft plant“

  1. Ich halte es für etwas widersprüchlich, wenn man Content-Management-Systeme (CMS) mit Professionalität in Verbindung bringt. Damit meine ich vor allem den Overhead an Code und dass ein Major-Release die ganze vorhandene Code-Basis ins Wanken bringen kann. Letztendlich erachte ich die Professionalität der Mitarbeiter als wichtiger. CM-Systeme können leichter inhaltlich aktualisiert werden, ohne dass die Mitarbeiter ausgefeilte Coder / Programmierer sein müssen. Proprietäre Webseiten sind aber zunehmend sehr abhängig von den Programmierern und deren Fähigkeiten. Wenn der Code die Sicherheitsarchitektur des Backends gefährdet oder keine hilfreiche Dokumentation angelegt ist, ist auch nichts gewonnen.

    1. Es ist kaum noch machbar, jede einzelne Seite handzucodieren. Zur Zeit läuft es darauf hinaus, dass ein CMS „nur noch“ als Content-Hub fungieren wird: Die Inhalte müssen auf vielen Plattformen ausgespielt werden können, so dass die Hauptaufgabe des CMS eher die Verwaltung des Contents wird und nicht mehr die visuell-ästhetische Aufbereitung dieser Inhalte für menschliche Nutzer. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass mehr Bots als menschliche User an den Inhalten interessiert sein werden. Auf der anderen Seite muss eine Website nun auch in der Lage sein, „Agents“ zu bedienen: Eine Suche nach einer Bahnverbindung plus Buchung/Bezahlung oder Restaurantreservierung mit Sonderwunschangabe muss demnächst auch von KI-Agents durchzuführen sein, eventuell über APIs. HTML ist für Menschen gemacht (die brauchen kein CSS), das allgemeinere XML ist schon eher für Maschinen geeignet, weil es Semantik herstellt und den Elementen übergeordnete Bedeutung gibt. Eine Website – so unverzichtbar wie sie auch sein wird – muss künftig flexibel und transaktionsorientiert funktionieren. Ich denke, das Agent2Agent Protocol (A2A) könnte mittel-/langfristig so wichtig werden wie HTML.

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