State of the Word 2025: San Francisco, „Gene“ und das Agent-OS – Die Analyse

Matt Mullenweg steht in San Francisco auf der Bühne bzw. im hochauflösenden Hybrid-Stream, den ich mir hier in Deutschland um 21 Uhr MEZ reinziehen wollte. Der Stream war extrem instabil – was mir leid tut für die Zuschauer und Zuschauerinnen bei den vielen Watchparties. Der State of the Word Stream brach immer wieder zusammen, sowohl auf X als auch auf Youtube. Und das zum 22. Geburtstag von WordPress.

Stream „unlive“ nachgeholt. Wer dachte, wir reden hier nur über ein CMS, das in die Jahre gekommen ist, der irrt. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: 43 % des Webs laufen auf WordPress. Betrachtet man nur den CMS-Markt sind es sogar 60 %. Besonders krass: In Japan liegt der Marktanteil bei 58,5 %. Das Web spricht nicht mehr nur Englisch – über 56 % der Installationen sind international.

Aber genug der Statistik. Was in San Francisco vorgestellt wurde, ist eine fundamentale Neuausrichtung. WordPress transformiert sich vom „Website-Baukasten“ zum Betriebssystem für das offene Web und KI-Agenten.

Hier ist meine Analyse – technisch, direkt und ohne Marketing-Filter.

1. AI Architecture: Standardisierung statt Wildwuchs

Das dominierende Thema war – wie kann es 2025 anders sein – KI. Aber im Vergleich zu 2023/24 geht es nicht mehr um Spielereien. Matt und sein Team (unterstützt durch Experten wie James LePage und Felix Arntz im Panel) bauen Infrastruktur.

Die „Abilities API“ & MCP

Das Herzstück ist die neue Abilities API. Bisher waren LLMs „blind“ für das, was WordPress kann. Mit der neuen API und dem WP AI Client können Entwickler Funktionen registrieren, die KI-Modelle verstehen und ausführen können.

Noch spannender: WordPress unterstützt jetzt das Model Context Protocol (MCP) von Anthropic. Das bedeutet, KI-Tools wie Claude oder Copilot können standardisiert auf WordPress-Inhalte zugreifen und diese bearbeiten.

Der technische Clou: Es ist keine proprietäre Blackbox. Es ist ein offener Standard. Wir müssen nicht für jedes Modell (OpenAI, Google, Anthropic) neuen Code schreiben. Das ist echte „Augmentierung“, wie Matt es nennt – der Mensch wird befähigt, nicht ersetzt.

2. WordPress 6.9 „Gene“: Ein UX-Shift im Live-Release

Ein Highlight war der Live-Release von WordPress 6.9 „Gene“ (benannt nach dem Jazz-Pianisten Gene Harris) direkt auf der Bühne. Und diese Version ändert, wie wir arbeiten.

Command-First: Tippen statt Klicken

Vergesst das Suchen in Block-Bibliotheken. Der neue Workflow ist Command-First. Es gibt ein Eingabefeld, in das ihr Wünsche in natürlicher Sprache eintippt. Beispiel: „Erstelle eine Preistabelle für 3 Produkte mit einem ‚Meistverkauft‘-Badge.“ Die KI baut das Layout, setzt die Spalten, stylt die Buttons – alles basierend auf den Patterns, die im Theme hinterlegt sind. Das ist Layouting via Prompt.

Block Notes & Kollaboration

Das Feature, das Agenturen lieben werden: Block Notes. Ähnlich wie in Google Docs könnt ihr jetzt Kommentare direkt an den Block heften. Aber es geht weiter: Ein Redakteur kann notieren: „@AI, mach diesen Text kürzer.“ Die KI führt die Änderung direkt am Block aus. Damit verlagert sich die Diskussion aus Slack und E-Mails direkt ins CMS. Endlich.

Zoom-Out & Interaktivität

Da KI oft ganze Sektionen auf einmal baut, gibt es den neuen Zoom-Out Modus. Man verlässt die Pixelebene und schiebt grobe Layout-Stücke hin und her. Dazu kommt nativer Support für LaTeX (endlich vernünftige mathematische Formeln!) und verbesserte Grid-Layouts. Die Demos, wie ein interaktiver Lego-Preisrechner ohne eine Zeile JavaScript erstellt wurde, zeigten eindrucksvoll, was „Low Code“ im Jahr 2025 bedeutet.

3. Ecosystem & Education: Mary Hubbards Handschrift

Mit Mary Hubbard als Executive Director weht ein neuer Wind. Sie sprach weniger über Gefühle, sondern über Fakten und „Learn by doing“.

Campus Connect: Theorie trifft Praxis

Ein starkes Beispiel für die Professionalisierung ist das Campus Connect Programm. Die Universidad Fidélitas in Costa Rica macht es vor: Studenten erhalten akademische Credits (Noten!) für Beiträge zum Open-Source-Projekt. Das schließt die Lücke zwischen Uni-Theorie und echter Praxis. Wenn Studenten lernen, wie man Core-Tickets löst, sichert das den Nachwuchs für die nächsten 10 Jahre.

Die Community wächst

Trotz aller Unkenrufe ist das Ökosystem gesund.

  • 60.000 Plugins im Repo (ein Anstieg von 68 % bei den Neuzulassungen!).
  • 2,1 Milliarden Plugin-Downloads.
  • 81 WordCamps mit über 100.000 Teilnehmern weltweit.

4. Playground & Data Liberation

Adam Zielinski und sein Team haben den WordPress Playground auf ein neues Level gehoben. WordPress läuft komplett im Browser (Wasm), ohne Server. Mit dem neuen Datei-Browser und Blueprints (JSON-Vorlagen) können wir Instant-Umgebungen für Tests hochfahren. Und ja, für den Spaßfaktor gibt es jetzt einen KI-Generator für „Wapuu“-Maskottchen.

Aber hinter dem Spaß steckt Ernst: Data Liberation. Mary Hubbard positionierte einfache Migrationstools als Waffe gegen „Walled Gardens“ wie Wix oder Squarespace. „Eure Daten gehören euch“ ist der USP gegen die Plattform-Giganten.

5. Was kritisch bleibt

Bei aller Begeisterung für „Gene“ und die Abilities API – ein paar Dinge dürfen wir nicht ignorieren:

  1. WP Engine Schweigen: Der Konflikt wurde mit keinem Wort erwähnt. Matt setzt darauf, dass Produkt-Exzellenz alle politischen Probleme überstrahlt. Riskante Wette.
  2. Kosten der Intelligenz: Wer zahlt für die API-Calls der KI? Das „Democratize Publishing“ kostet Rechenleistung. Die muss man irgendwo buchen, sei es bei Open AI, Google, XAi…
  3. Die Komplexität: Mit React, MCP, Abilities API und Wasm wird die Einstiegshürde für „Hobby-Coder“ massiv höher. WordPress wird Professional-Grade-Software.

Fazit: Fight for the Open Web

Matt beendete die Keynote mit einem Appell:
„Kämpft für die Freiheit. Kämpft für ein offenes Web.“

State of the Word 2025

WordPress 2025 ist mächtiger denn je. Es ist nicht mehr nur ein Blog-Tool, es ist eine Integrationsplattform, die proprietäre Systeme herausfordert. Die Tools (6.9, Playground, Abilities API) sind da. Jetzt liegt es an uns Entwicklern, sie zu nutzen, bevor die geschlossenen Plattformen den KI-Markt unter sich aufteilen.

Adapt or Die

Die State of the Word 2025 kann man als Weckruf verstehen. WordPress transformiert sich von einem CMS zu einer Integrationsplattform für KI-gesteuerte Workflows.

Die Hürde für Einsteiger („Ich bastel mal was mit einem Standard-Theme“) wird durch den Tech-Stack (React, Node, Wasm, AI-Schemas) massiv höher, vielschichtiger, komplexer. Aber die Möglichkeiten für professionelle Entwickler und Agenturen skalieren ins Unermessliche und wie es aussieht will WordPress in der akademischen Welt, da wo Wissen generiert und nicht nur gescaped und repliziert wird, stärker Fuß fassen.

Wer jetzt nicht anfängt, seine Datenstrukturen für die Abilities API fit zu machen und Workflows auf den Playground umzustellen, wird in den nächsten 12 bis 24 Monaten womöglich abgehängt. Ich selbst freue mich auf den Shift. Aber ich werde sehr genau beobachten, wer am Ende die Rechnung für die Cloud-API bezahlt.

Wurde die Themen, die wir erwarteten, angesprochen?

1. Gutenberg Phase 3 (Kollaboration):
Ja, ein zentrales Thema. Dies war eines der konkretesten Features der vorgestellten Version WordPress 6.9 „Gene“. Mit der Einführung von „Block Notes“ (Kommentare und Notizen direkt an Blöcken im Editor) wurde ein Kernstück der Phase 3 – die Zusammenarbeit am Inhalt in Echtzeit (ähnlich Google Docs) – live demonstriert. Es geht darum, redaktionelle Workflows direkt in den Editor zu holen.

2. Data Views mit WordPress 6.9:
Teilweise. Während der Begriff „Data Views“ nicht als alleinstehende Schlagzeile dominiert, wurden massive Verbesserungen an den Design-Tools und der Verwaltung von Inhalten in Version 6.9 gezeigt.

Besonders hervorgehoben wurden die „Zoom-Out“-Ansicht zum Bearbeiten von Patterns (Vorlagen) und verbesserte Raster-Layouts. Zudem wurde „Data Liberation“ (Datenfreiheit) betont, was bessere Im- und Exporte impliziert, um Daten nicht in einem System gefangen zu halten.

3. Politics und „Five for the Future“:
Indirekt (Fokus auf Bildung). Interne Projekt-Politik oder Dramen waren kein Thema der Keynote. Das Prinzip der Contribution (Beiträge zum Projekt) wurde jedoch stark durch das neue Bildungs-Thema adressiert.

4. Mehrsprachigkeit ab Werk:
Ja, aber durch KI. Das Thema wurde aus zwei Winkeln beleuchtet:

  • Wachstum: Der Marktanteil in Japan (fast 60%) und die Tatsache, dass über 56% der Installationen nicht-englisch sind, wurden gefeiert.
  • Technologie: Anstatt nur über die klassische „Phase 4“ (Multilingual Core) zu sprechen, lag der Fokus darauf, wie KI Übersetzungen automatisiert und sogar Live-Übersetzungen (erwähnt im Zusammenhang mit Airpods/Real-time translation) ermöglicht.

5. WordPress for the next generation & die Hobby-Admins:
Hier gab es eine klare Botschaft:

  • Next Generation: Dies war explizit Thema durch Mary Hubbard und die Universitätsprogramme. Man will junge Menschen nicht nur als Nutzer, sondern als Contributor gewinnen („Learn by doing“).
  • Hobby-Admins: Sie wurden nicht ausgeschlossen, im Gegenteil. Die massive Integration von KI-Tools (Abilities API, Layout-Generierung per Chat) wurde damit begründet, die „Kluft zwischen Idee und Umsetzung“ zu schließen.
  • Fazit für Hobbyists: Die Botschaft war, dass man kein Entwickler mehr sein muss, um komplexe Dinge zu bauen (z. B. einen Preisrechner oder ein Layout). KI soll den „Hobby-Admin“ so mächtig machen wie eine Agentur. Auch der WordPress Playground (WP im Browser ohne Server-Setup) richtet sich stark an Einsteiger und Experimentierfreudige, was den Hobby-Bereich stärkt.

State of the Word 2025 auf Youtube:
https://youtu.be/U_DF4-23C8Q?si=5Bfx_uVzUm6U5dc3

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